Das Leben hinter dem „Buzz-Word“
Digifellow Paul Feldhaus stärkt im Pilotprojekt „Bildungsgerechtigkeit im digitalen Zeitalter“ mit der RAG-Stiftung vor allem die digitalen Kompetenzen seiner Schülerinnen und Schüler. Was bedeutet es überhaupt heutzutage, digital gebildet zu sein? Paul nimmt uns mit ins digitale Klassenzimmer an der Gemeinschaftsschule Bochum-Mitte.
Seit dem Schuljahresbeginn im September 2018 wurde mir die Aufgabe zuteil, eine AG zum Thema Digitale Bildung zu leiten. „Digitale Bildung? Was steckt denn genau dahinter?“, fragte ich mich zunächst. Dies zu beantworten fiel und fällt mir auch nach über einem halben Jahr nicht leicht, muss ich zugeben. Klar, zunächst denkt man an Word, PowerPoint und Excel, evtl. an das Verständnis von Hard- und Software und das World Wide Web. Aber was bedeutet es heutzutage, digital gebildet zu sein? Und viel wichtiger: Welche Kompetenzen vermittelt man zu welchem Zweck? Wie ich mich diesen Fragen gestellt habe und mit ihnen umgegangen bin, möchte ich folgend anhand meines bisherigen Einsatzes als #Digifellow beschreiben.
Was bedeutet es überhaupt heutzutage, digital gebildet zu sein?
Zu allererst orientierte ich mich an dem Medienkompetenzrahmen des Landes NRW (vgl.https://medienkompetenzrahmen.nrw.de). Diesen nutzte ich als Maßstab für eine erste Einschätzung, in welchen Feldern die Schülerinnen und Schüler diagnostiziert und gefördert werden können. Ich entschied mich dafür, mit einer Einführung in PowerPoint zu starten. Ich wollte die einzelnen AG-Teilnehmerinnen und Teilnehmer näher kennenlernen und auch, dass sie sich gegenseitig kennenlernen. Daher haben wir zunächst Schritt für Schritt Präsentationen über uns erstellt. Doch schnell wurde mir klar: Aller Anfang ist schwer. Schon in der ersten Stunde bemerkten wir ganz unterschiedliche Niveaus. Einige legten sofort los, haben Bilder eingefügt oder das Hintergrundbild geändert – ich war fasziniert von ihrem Selbstverständnis und ihrer Kreativität, ihre Ideen in die Tat umzusetzen. Wieder andere fragten mich nach langem Starren auf den Bildschirm, was das denn überhaupt sei, dieses PowerPoint, und wie man das finden und starten könne. Damit hatte ich nicht gerechnet. Teilweise hatten Schülerinnen und Schüler nur ein paar Mal in ihrem Leben überhaupt einen PC genutzt. Warum auch? Sie hatten ja ihre Smartphones, konnten mit Freundinnen, Freunden und Familie kommunizieren, sich in sozialen Netzwerken austauschen und beschäftigen oder sich mit Spielen ihre Zeit vertreiben. Ich vergaß auch, dass ein heimischer PC oder Laptop keine Selbstverständlichkeit darstellt. Dies eröffnete die Möglichkeit, die stärkeren Schülerinnen und Schüler als Expertinnen und Experten miteinzubinden. Somit hat jeder von uns Neues und Wichtiges dazu gelernt. Ganz nebenbei haben wir uns untereinander auf Augenhöhe besser kennengelernt und in einer teilweise „wilden“, aber am Ende produktiven Arbeitsweise angeeignet, wie man Präsentationen erstellt, sie strukturiert, sie präsentiert und Feedback gibt. Zudem wurde das Mysterium aufgelöst, dass eine E-Mail-Adresse nicht nur dazu gut ist, Apps aus einem App-Store zu downloaden.
„Das Interesse und der Wunsch auf Seite der Schülerinnen und Schüler ist da – es ist an der Zeit, digital zu experimentieren.“
Digifellow Paul Feldhaus
Hierauf aufbauend schlugen wir die Brücke zu einem Thema, das ich komischerweise nicht sofort mit digitaler Bildung in Verbindung brachte: „das digitale Ich“. Wir stellten uns gemeinsam Fragen wie: „Welche Daten gebe ich durch meine Teilhabe in sozialen Medien preis?“, „Was passiert, wenn ich meinen Namen bei einer Suchmaschine eingebe?“, „Warum und welche Daten sind so wertvoll?“ und „Welche Gefahren stecken hinter der Freigabe meiner persönlichen Daten?“. Hierzu arbeiteten wir recht frei, gestalteten den Unterricht offen und ließen so viel Platz für das Ausprobieren, Recherchieren und Fragenstellen. „Oha, Herr Feldhaus, Sie sind ja auf Insta! Wie war es denn in Schweden? Ist das nicht voll weit weg?“. Und schon waren neue Sprachanlässe über die Vorteile eines Studiums (bzw. guten Abschlusses) oder auch die Privatsphäre-Einstellungen geschaffen.
Ein weiteres Highlight war die Teilnahme mit zwei Schülerinnen an einem Coding-Workshop von der Vodafone Stiftung und der Pacemaker Initiative. Dort beschäftigten wir uns einen Tag lang mit der Programmierung eines Spiels, konnten erste Erfahrungen mit der Erstellung einer eigenen 3D-Welt sammeln und haben einen Prototyp eines Fangspiels mit einem Calliope-Mini – einem Einplatinencomputer – Pappe, Klebeband und Alufolie kreiert. Sofort war der Wunsch groß, daran weiterzuarbeiten, sich auch für zu Hause die benötigte Platine zu kaufen und loszulegen.
Digitales Lernen in der Praxis: Schülerinnen und Schüler nehmen an einem Coding-Workshop von der Vodafone Stiftung und der Pacemaker Initiative teil.
Ich habe gelernt, dass digitale Bildung nicht nur 1 oder 0, sondern dynamisch ist. Es geht für mich darum, dass man durch das Ausprobieren Neugier wecken und somit einfacher Inhalte vermitteln kann. Digitale Bildung bedeutet für mich nicht, dass man alle Bücher mit Tablets ersetzt, keine Tafeln mehr benutzen darf und die Schülerinnen und Schüler nur noch durch den Bildschirm sieht. Vielmehr stehen das Explorative und der Diskurs im Vordergrund. Welche Vor- und Nachteile bieten das Internet und soziale Netzwerke, mit denen wir uns tagtäglich intensiv auseinandersetzen? Aber auch: Was muss ich noch dazulernen, um nach der Schule fit für die Arbeit zu sein und zu wissen, wie schnell falsche Informationen in den Umlauf gebracht werden können und wie man diese entlarvt? Zu guter Letzt habe ich festgestellt, dass man recht trockene Inhalte, wie Tabellen, mit Leben füllen kann, wenn man diese mit Excel in verschiedene Diagramme übersetzt. Es lassen sich Farben auswählen, die Schülerinnen und Schüler können spielerisch erleben, was passiert, wenn sich einige Parameter ändern oder weggelassen werden. Egal ob jung ob alt, Spielen und Neugier gehört für mich zum Leben dazu. Das Interesse und der Wunsch auf Seite der Schülerinnen und Schüler ist da – es ist an der Zeit, digital zu experimentieren.
Je mehr Antworten man findet, desto mehr Fragen tauchen auf – das ist meiner Ansicht nach bezeichnend für – und das Charmante an – (digitaler) Bildung.
Paul Feldhaus
Quelle: https://www.teachfirst.de/blog/ (während der Schulzeit alle 3 Wochen neue Beiträge)